Dobrac, Advent 2004

"dann erhebt eure Häupter, denn eure Erlösung ist nahe."

 

Liebe Schwestern und Brüder,

wenn ich diesen Weihnachtsbrief an euch schreibe, dann tue ich das mit einem Herzen voller Dank und tiefer innerer Freude, dass wir Erlöste sind. Und die Freude über die Geburt des Erlösers, die uns aufschauen lässt aus aller Not, aus aller Hektik, vielleicht auch aus Schmerz und Frustration, aber die uns auch weiter sehen lässt als den eigenen Erfolg oder die eigene stolze Leistung, diese demütige Freude über das Kind in der Krippe, die möchte ich für jeden von euch erbitten.
Gesegnete Weihnachten euch allen!

Ich möchte zu Weihnachten und zum Jahresende auch einfach euch allen herzlich danken für alles, was jeder Einzelne für uns hier in Albanien tut, sei es das Gebet, die materielle Hilfe und einfach das "Uns-Gutsein". Vergelt´s Gott.
Wenn ich auf das Jahr, seit meiner Rückkehr am 30. März zurückblicke, dann kann ich nur sehr, sehr demütig sagen:
Alles hat der Herr getan.

Und nun stehen wir hier im Advent und die Zeit ist wahrlich intensiv und die Menschen hier stehen jeden Tag vor unserer Türe, um das Nötigste zu erbitten. Ja, der Advent hat nichts von Lebkuchenduft, Glitzerlichtern und Kaufhausrummel oder auch schönen und guten stimmungsvollen Adventsabenden hier an sich. Und dennoch: das Kommen des Erlösers, diese Entäußerung Gottes, der Mensch wird, dies erlebe ich in großer Wachheit und sehr intensiv:
Ich erlebe den Advent mit den Menschen hier in Dobrac zum ersten Mal in unserem Klösterle und wie sehr wir täglich die Ankunft Christi in uns neu brauchen, diese Geburt Gottes in uns, ohne die wir wohl wirklich seelisch tot sind. Ich erlebe den Advent hier sehr ent-zaubert von allem Firlefanz und Tingeltangel, nüchtern, fast nackt und doch so echt und tief und wahr, dass wir nur noch auf das Wesentliche geworfen sind:
ER allein ist notwendig und wir erwarten IHN. Wie ich dies so konkret erlebe, dies möchte ich euch einfach erzählen. Ich könnte wieder fast ein Buch jeden Tag drüber schreiben:

Da werde ich am Samstag vor acht Tagen zu Gjyste gerufen, die schwer krank mit Krebs darniederliegt, zu Gott heimgehen wird zu Weihnachten. Die 13jähr. Blerte hat mich gerufen. Sie hat bis jetzt die Mama gepflegt und die zwei noch kleinen Geschwister versorgt. Jetzt braucht sie mich für die letzten Tage mit ihrer Mama. Blerte macht das so gut, sie kann aber auch ihre Angst und Trauer äußern und die Angst vor der Zukunft, ob sie durchkommt mit den 2 Geschwistern. Sie sind auch finanziell auf unsere Hilfe angewiesen.
Dann komme ich mit Irena aus dem Haus und wir stellen fest, dass es regnet wie noch nie. Schnell ist uns klar, dass wir nichts mehr einkaufen werden, sondern schauen müssen, auf dem schnellsten Weg ins Klösterle zu kommen.

Sowas habe ich echt noch nie erlebt: Innerhalb von einigen Minuten kommt es von allen Seitengassen Shkodras in Sturzbächen auf uns zu: einfach nur Unmengen von Wasser. Irena fragt, ob jetzt die Sintflut kommt. Wir beten einfach den Rosenkranz, während ich versuche im entstehenden Verkehrschaos das Auto durch die Flut zu kriegen. Ich weiss, dass unsere liebe Sr. Bernarda allein daheim ist und ich weiss nicht, wie unser Haus dicht hält. Gott sei Dank darf ich sehr ruhig bleiben und auch die überfliessenden Kanäle mit ihrer schweren Strömung heil überqueren. Das Auto macht gut mit. Irena rastet auch nicht aus. Einmal fragt sie nur während des Betens, ob ich schwimmen kann ... Da müssen wir dann lachen, weil sie sagt: Moter Christina, kannst du besser schwimmen als ich? Ich kann´s nämlich nicht." Ich meine dann: "Macht nix, wir nehmen dann einen Autoreifen." Daheim stehen wir dann schon bis zu den Waden im Wasser und retten die Heizungsgarage gerade noch mit einem Damm, den wir mit noch herumstehenden Betonplatten bauen. Das Haus hält stand, bis auf ein Loch im Dach. Doch die anderen Familien um uns rum hier in Dobrac, unsere Nachbarn, die Armen, die eh schon elende Wohnlöcher haben??
Wir gehen in die Kapelle und flehen wirklich zum Himmel. Es regnet bis um ca. 16.00 Uhr weiter. Es schüttet und die endgültige Flut kommt dann, als zwei Schleusen des Staudamms geöffnet werden zum Dammschutz. Irena ist bei uns geblieben, weil ich selbst nicht so kräftig bin, um den Damm zu stabilisieren usw.

Uns sie könnte auch gar nicht raus, denn alle Kanäle sind reißende Flüsse. Wir halten einfach Kontakt mit Sokol über Handy. Dort schaut es schlimm aus. Die Häuser stehen völlig unter Wasser. Gegen 17.00 Uhr fahre ich noch mit dem Auto raus, um Irena so weit wie möglich zu bringen. Irgendwann komme ich dann halt auch nicht mehr mit dem Auto weiter. Das heisst umkehren. Ich komme gar nicht zu den am meisten überschwemmten Familien. Ich weiß, dass ich nicht zu ihnen kann, es auch im Moment sinnlos wäre. Aber ich weiß auch, dass die Menschen hier inzwischen soviel Vertrauen haben und auch wissen, dass wir ihnen Zuflucht hier geben, wenn sie in dieser Nacht obdachlos sind. Oh, in diesen Momenten spüren wir die Gewalt der Natur und ich denke wirklich: "Wenn dies alles geschieht ..., dann erhebt eure Häupter." Und gläubig und demütig gehen wir in die Kapelle. Wie sehr brauchen wir Gott - in dieser Not umso mehr.
Am Tag danach, am Sonntag hat es zu regnen aufgehört. Die Franziskanerkirche ist noch überschwemmt. Wir feiern die Hl. Messe in einem engen, nassen und dunklen Raum. Zwei Kerzen gibt es noch. Und das Häuflein Menschen, das durch die überfluteten Straßen in die Morgenmesse gekommen ist, gleicht einer kleinen Herde, die Zuflucht zum Hirten gesucht hat. Aus der Tiefe wird gerufen und gebetet, gläubig, ruhig, ohne Aggression und ohne mit Gott zu hadern. Die Menschen hier sind dankbar, dass sie überlebt haben, dass nicht der ganze Staudamm geöffnet wurde und, dass wir uns um sie kümmern. Wir beginnen, mit ihnen das Leben sofort zu organisieren, das Nötigste zum Überleben zu sichern. Einige Familien nehmen andere, völlig überschwemmte Familien sofort in ihre Häuser auf. Wir liefern die ersten Nahrungsmittel, Decken usw.

In all der Flut und Katastrophe, da ist dann unsere Schw. Bernarda und übt mitten in dem allen auf ihrer Blockflöte "Ihr Kinderlein kommet". So tönt es durch unser Klösterle. Und: in die Krisensitzung hinein, da geht es mir ins Herz: Ja, wir dürfen kommen, als armselige Menschenkinder - zur Krippe, zum Kind. Und die Kinder, die dürfen zu uns kommen - und ich mache mit ihnen an Weihnachten ein Krippenspiel, auf das sie sich so sehr freuen. Da kann auch diese Flut nichts ändern. Denn die Geburt Jesu findet statt, wenn wir IHN in unser Herz lassen, oder wir saufen halt eben dann seelisch ab, wenn wir IHN nicht einlassen, wenn wir nicht mehr die Knie vor der Krippe beugen - so denke ich in diesem Augenblick.
Und das "Ihr Kinderlein kommet" ist gut und gehört dazu, reißt mich nicht auseinander in dieser so spürbaren Not.

Nun machen wir gerade Flut-Krisenmanagement und Krippenspiel und, und, und...
Man kann fast nicht glauben, wie eifrig die Kinder dieses geplante Krippenspiel üben. Und die Väter und Mütter bringen ihre Kinder hierher - durch das überschwemmte Gebiet, durch die Schlammstraßen ... Es ist alles sehr einfach und alle 40 Kinder haben irgend eine Rolle bekommen. Da sind wir dann auch kreativ geworden. Es macht Freude, diese Kinder zu erleben, wie ernsthaft sie dabei sind, wie sehr sie aufleben in ihren Rollen, wie sie die Not daheim einfach auch vergessen.
Ein Mädchen, die 12jährige Mirsida (die gerade auch den Kopf voller Läuse hat), hat mich heute ganz fest gedrückt und mir ins Ohr geflüstert: "Moter Chr., ich habe das Jesuskind furchtbar lieb." Und dann bekam ich einen dicken Kuss. Welche Liebeserklärung an den lieben Gott, von einem der ärmsten Kinder hier.

Irena und Sokol leisten Großes, wirklich Großes. Sokol hat sich vor ca. 4 Wochen den Knöchel gebrochen, aber er hüpft - trotz Gips - herum. Ich habe ihn neulich gesehen im Regen, wie er zu einer anderen bedürftigen Familie ging. Er kann noch gar nicht gut auftreten, muss Schmerzen haben. Ernst, aber mit festem, wenn auch hinkendem Schritt und fast durchscheinend hager geworden, schritt er durch das überschwemmte Feld - immer noch in für mich schmerzlich gebückter Haltung, immer auch in dieser seltsamen Hast und Vorsicht vor dem Rächer, dem er neulich wieder auf dem Weg fast in die Arme gelaufen wäre. Aber Sokol geht raus, tief gläubig, dass Gott mit ihm ist. Er hat sein Leben dem Schöpfer überlassen; dies ist mir in diesen Minuten, als ich ihn eben nach der Flut so sah, ganz klar geworden. Und Sokol kümmert sich um die armen Familien, um die Belange der illegalen Bewohner hier, um uns hier im Kloster, um schlichtweg alles. Und er ist furchtlos, wenn es darum geht, einen Streit zu schlichten, gewaltsame Konflikte zu verhindern.
Neulich hat er wieder eine halbe Nacht verhandelt, weil 2 Nachbarn wegen einer Kuh in einen bösen Streit geraten sind. Da erhebt Sokol dann das Wort wirklich wie ein Prophet. Dieser Streit ist noch nicht beendet. Ich wurde nun gebeten, zu intervenieren. Und ich fordere dann auch immer alle auf, wirklich zu beten, denn Versöhnung ist ohne das Gebet nicht möglich. Da bin ich mir sehr sicher.

So ist es mit dem Streit um die Kuh:
Die Kuh des Nachbarn ging auf die Weide zu Dedas Kühen und hat mit ihnen gefressen. Deda ging dann zum Nachbarn und wollte das Fressen der Kuh bezahlt bekommen, was dieser verweigerte. Zum Übel kam die Frau des Nachbarn und gebrauchte wohl ein Schimpfwort, das die Ehre von Deda verletzt hat. Nach dem Kanun ist das ein schweres Vergehen, auf das Blutrache steht. Sokol hat hier wohl soweit verhandelt, dass sie erst mal nicht töten.

Viele Arme stehen jetzt natürlich vor der Türe, nach der Flut einmal mehr. Von Caritas Deutschland habe ich für die Flut-Opfer einen Hilfsfond erhalten und so können wir wirklich etliche kaputte Häuser aufbauen, mehr Nahrungsmittel verteilen als sonst, auch noch Decken und Holz.

Das Elend ist groß, aber die Hoffnung größer, so denke ich. Und da geschieht es nun jeden Spätnachmittag, dass über 30 Fam. in unserem Gebiet eine Marienfigur in ihre Häuser tragen, von Familie zu Familie. Die Idee hatte ich vorige Woche und dann haben wir hier zwei Marienfiguren gefunden. Und da kehrt nun Maria ein. SIE wird viele Gnaden fließen lassen, auch Versöhnung schaffen und Interesse füreinander wecken. Irena sagte mir heute, wie sehr ernsthaft da jeden Abend eine kleine Prozession mit Maria und einigen Lichtern unterwegs ist und wie freudig dann Maria in den Häusern aufgenommen wird. Gebete habe ich kopiert und sie beten einfach - schlicht. In ihren armseligen Hütten haben sie noch einen schönen Platz für Maria geschaffen - Herberge geben jene, die selbst kein Bett und keine trockene Decke mehr zum Schlafen haben. Sie empfangen Gott. Ich bin überzeugt davon.

Ich muss unbedingt noch eine große Freude für uns hier an euch weitergeben:
Wir dürfen über Weihnachten unsere Mutter Maria Andrea bei uns haben. Wir erwarten sie am Donnerstag schon ungeduldig wie die Kinder, die auf´s Christkindle warten. Das ist ein besonderes Weihnachtsgeschenk für uns. Und ich weiß, dass unsere Mitschwestern in der Schweiz auf sie verzichten und uns dieses Geschenk bereiten. DANKE!

Ich wünsche euch allen, dass ihr unserem unglaublich menschlichen Gott Raum in euren guten Häusern gebt und so das Licht der Weihnacht euch erfassen darf.

Eure Schw. Maria Christina

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